«Unser Wort ist nicht nur ein Wort, man spreche es aus – und es wird zu eigenständigem Leben erblühen, es wird wie eine Schneelawine eine Kette von Akten nach sich ziehen, die niemand mehr zu zerreissen vermag.» 
Arsenij Tarkowskij

THE BEAUTIFUL TOAST DREAM 
Sherry Stewart, Tom Wolfe
Marcel Früh
Text von Katharina Dunst

Die aktuelle Arbeit, «The Beautiful Toast Dream» von Marcel Früh ist ein Langzeitprojekt, in dem sich der Künstler der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Schrift und Bild widmet. Die beiden Zeichensysteme, die sich oft als Literatur und bildende Kunst voneinander abgrenzen lassen, schöpfen aus ähnlichen Quellen und stehen dennoch in einem spannungsvollen Dialog. Ein Dialog, in den der Künstler und leidenschaftliche Leser auch seine Auseinandersetzung mit Typografie und Bild als zusätzliche Stimmen hereinbringt. Die Auseinandersetzung mit dem konkreten Werk eröffnet Einblicke in Themen und Aspekte, die auch in vielen anderen Arbeiten von Marcel Früh wiederkehren.
In Acryl/Lackfarbe auf Multiplex-Tafeln und einer eigens geschaffenen Grotesk-Schrift wird die Schilderung einer traumhaften Begebenheit aus dem Buch «The Painted Word» von Tom Wolfe, ins Bild gesetzt und an die Wand gebracht. Ohne Wortabstände und Satzzeichen steht der Text in Grossbuchstaben auf weiss grundierten Multiplex-Tafeln, die in einer fortlaufenden Reihe an der Wand hängen und eine neue Syntax bilden. Wolkig aufgebrachte Reflexfarben über den Lettern vollenden die Arbeit atmosphärisch. 

DIE QUELLE
Tom Wolfe erzählt den Traum, der in Wahrheit keiner ist, grosszügig ausgeschmückt und leicht zynisch als Illustration dessen, was er in offen dargelegter Unzufriedenheit Kunst nannte, «die man nicht sehen kann». An den Tendenzen der 1960er und 1970er Jahre, der Konzeptkunst, der Pop Art und dem Abstrakten Expressionismus kritisierte er den Verlust der sinnlichen Ebene und die eingeschränkte Zugänglichkeit. Er beklagte ihr Theorie- und Textwerden und die zunehmende Abhängigkeit von Exegeten, die über Deutungshoheit und Bewertungsmacht von Kunst in alleiniger Herrschaft verfügten. Namentlich beschäftigten ihn die Kritiker Clement Greenberg, Harold Rosenberg und Leo Steinberg. 

Den Namen der Künstlerin, deren Arbeit er als vermeintliches Corpus Delicti aufführte, hatte er sich ausdrücklich nicht gemerkt oder wollte ihn nicht nennen. Ihre Performance, die er nicht gesehen hatte, benutzte er mehr oder weniger ignorant, um darüber eher eine selbstgefällige Satire als eine ernst zu nehmende Kritik zu schreiben. 
Dies soll den literarischen und journalistischen Leistungen von Wolfe keinen Abbruch leisten. Mit zweifellos spitzer Feder fing er manch eine gesellschaftliche Dynamik präzise und bildstark ein. 
Tom Wolfe, wurde 1930 in eine wohlhabende Familie in Virginia geboren und zählt als Vertreter des «New Journalism». Seine meist kritischen Beschreibungen der amerikanische Gesellschaft und Kultur sind für ihre Treffsicherheit und Bissigkeit bekannt, die einerseits aus genauer Recherchearbeit und einer grossen Beobachtungsgabe, andererseits durch persönlich gefärbte Prosa geprägt sind. Bezüglich inhaltlicher Qualitäten und Korrektheit scheiden sich die Geister.
  
DAS ORIGINAL
«The Beautiful Toast Dream» war tatsächlich eine performative Arbeit innerhalb der Ausstellung: «The Return of Abstract Expressionism», welche vom 25. Sept. – 2. Nov. 1969 im Richmond Art Center stattgefunden hatte. Tom Marioni, verantwortlicher Kurator und Künstler, legte bei der Konzeption vor allem Wert auf eine Abwendung von der Objekthaftigkeit des Kunstwerks. Die Erfahrung von Gegenwart war essenzieller Teil der hier vertretenen konsumkritischen Haltung, die sich der Erlebnisdimension von Kunst zuwandte und das partizipatorische Moment der Kunstbetrachtung als wichtig erachtete. In seinem einführenden Katalogtext und in der Auswahl seiner Künstlerinnen und Künstler schrieb Marioni: 
«(…) But perhaps more importantly, the artists are not interested in producing objects. The majority of the pieces exist only for the duration of the show. There are no photographs in the catalogue because some work cannot be seen before installation. In fact, several artists have sent only instructions for the creation of their works. It would harm the intent of the work to frame or reduce them to the degree needed for reproduction and, the nature of the work precludes reproduction. For the first time, the artist is freeing himself from the object.» *

Liste Richmond Art Center

Was die Performance The Beautiful Toast Dream betrifft, existieren im «Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive» Dokumente, welche Texte zweier Arbeiten von Sherry Stewart, die Requisiten-Liste und die Korrespondenz zwischen dem Kurator und der Künstlerin beinhalten. Daraus ist abzuleiten, dass die Stewart ihrem Text durchaus eine materielle Dimension verliehen hatte. Auf der Rechnung zur Ausstellung sind unter ihrem Namen zur ersten ihrer zwei Performances der Ausstellung Palmwedel, Gaze und Stöcke erwähnt.

Nun könnte gemäss dieser Beschreibung exakt die Präsenz eines Kunstwerks und die direkte Interaktion mit dem Publikum für die Unabhängigkeit von Vermittlung durch ein kunstkritisches Urteil ins Feld geführt werden und Wolfes Ablehnung freundschaftliche Verstärkung finden. Wie schade, hatte er sich nicht eingehender mit seinem Gegenstand auseinandergesetzt. 

DER EXKURS
Da Tom Wolfes Buch, in dem der sogenannte Traum von Sherry Stewart nacherzählt wurde «The Painted Words»** heisst, erlaubte ich mir, einem Bildgenerator die Bestandteile der Performance als Prompt zu übergeben. Worte werden innert Sekunden zu Bildern, ohne zu zögern stellt «künstliche Intelligenz» «Dokumentarbilder einer Performance aus dem Jahr 1969 in einem amerikanischen Kunstraum» her, wo eine Frau, ungefähr 24 Jahre alt, Palmwedel, Gaze und sieben gute Stöcke installiert hat. 

Unter anderem wurden mir von deepAI folgende Bilder vorgeschlagen:  

deep AI

 **(Transkription des Textes von Sherry Stewart: The Return of Abstract Expressionism : Richmond Art Centre, Sept. 25 – Nov. 2, 1969. Richmond, Calif.: Richmond Art Center, 1969)

I woke up on 4 A. M. and ran to the kitchen craving (for) a piece of toast. Ideally it would have been a crust of Wonder Bread, lightly browned, scraped with Nucoa by a serrated stainless steel knife so the margarine pools were peppered with brown bread crumbs, solid and floating; sugar sprinkled so that it absorbed the butter and became a yellow sort of granular mush pushed around with the serrated knife; cinnamon then sprinkled on top of the sugar, margarine mush and spread around once again to make it all an even tone and uniform flavor. I would have bitten off the corner, grains of sweet oily stuff scraping in the ridges of my teeth and remaining in the corner of my mouth. But there were no crusts so I turned off the light, opened the refrigerator, had a swig of Diet-Rite Cola, replaced the cap, put the bottle on the shelf, closed the door and stumbled back to bed.


A NEW ORDER
Es war während der Pandemie, als Marcel Früh begann, die einzelnen Lettern des von Wolfe wiedergegebenem Toast Dream auf «Bildträger» (ca. 30 cm / 40 cm gross) zu übertragen. In einer eigens entworfenen Grotesk-Schrift gesetzt, sollte die Form der Zeichen nichts Auffallendes sein, sondern sehr neutral; das typografische Handwerk sollte nicht in den Vordergrund treten. Buchstaben, nicht Stil sollten sichtbar werden: auf sich selbst verweisende Zeichen. Die Anzahl wird materiellen Fakten wie der Grösse der Platte angepasst.

the beautiful toast dream reihe
Im nicht endenden Fluss von Zeichen entsteht Gemurmel, der Sinn taucht ab, obgleich die einzelnen Lettern gerade und aufrecht, klar voneinander abgesetzt da stehen. Wo in der Notation Leere (Wortabstände) wegbleibt, löst sich Ordnung auf. Es erscheinen blosse Zeichen. Liest man sie sich vor, ergeben sich Laute, die nichts anderes als Laute sind. Schrift und Sprache bleiben bei sich selbst. Imagination löst sich auf in Offenheit. Der Tausch vom Zeichen zum Sinn ist unterbrochen. 
In neuen Konstellationen stehen die Zeichen auf und widersetzen sich ihrer Auflösung und in diesem speziellen Fall auch der Auflösung in die Sinnlichkeit des Textes, geht es Sherry Stewart doch um das Übertragen einer genüsslichen Erfahrung, die fast allen Menschen bekannt ist. Die Materialität oder die materielle Dimension von Schrift wird nicht als Zwischen- sondern als definitives Stadium ernst genommen. 
Bezogen auf den Begriff des Traums, kann der unmöglich gewordene Tausch von Zeichen in Wirklichkeit parallel interpretiert werden. Sobald sich ein Traum oder besser ein Verlangen , wie es von Sherry Stewart beschrieben wurde, in Wirklichkeit übersetzt, löst er sich auf.  
Die Leere ist unmöglich mit Material aufzufüllen.


WYSIWYG. WHAT YOU SEE IS WHAT YOU GET.
Mit dem zur Vollendung aufgetragenen neonfarbigen Finish entlässt der Künstler das Werk an die Wand, wo es sich mit seiner Struktur zu einem leicht anders gesetzten Nachbarn in Beziehung setzt. 
Mobirise

Keine metaphysische Dimension wird heraufbeschworen auf diesen Tafeln, das einzig Unbestimmte, sind die neonfarben gespritzten wolkigen Töne, welche über dem harten Schwarz auf Weiss eine gewisse Atmosphäre schaffen. Das, was normalerweise zwischen den Begriffen entsteht, liegt jetzt obenauf. Farbe in einer Ebene, welche eine dritte Dimension eröffnet und vom Text nicht kontrolliert wird. 

Für den Künstler selbst ergab sich mit dem Konzept, die 2331 Buchstaben des Wolfeschen Toast Dream (es wären nur 719 bei der Originalversion gewesen) von der gedruckten in die gemalte Form zu bringen, eine sichere und langfristige Arbeitsstruktur, die den Übergang in die freie Tätigkeit elegant überbrückt. 

Auch Sherry Stewart hatte wohl den Abbruch und die Fortsetzung im Sinn, als sie sich zum Ziel setzte, ein Verlangen darzustellen, das sich ebenso wenig in Wirklichkeit übersetzen lässt, wie der gemalte Traum von Marcel Früh sich in Imagination transformiert; hier aus materialistischer dort aus idealistischer Perspektive. 


DAS DING UND DIE LEERE
Stewart nahm mit der Nennung der Produktmarken «Nucoa» und «Wonderbread» im Text zur Performance auch das Versprechen und die suggestive Kraft der Werbung unter die Lupe, welche das Verlangen der Konsumenten bis in ihre Träume zu formen versucht und es vielleicht sogar selbst hervorbringt. In TV-Werbespots der 1960er Jahre erscheint für die «Nucoa» Margarine tatsächlich eine warme Scheibe Brot in Grossaufnahme, auf deren Oberfläche man die schmelzende Margarine beim Einsinken beobachten kann. Die Erzählung des sogenannten Traums, der ja eigentlich gar keiner ist (die Frau ist wach), endet im Wachzustand, sie findet das, was sie in die Küche getrieben hatte, nicht, füllt die Leere jedoch mit einem Ersatz (etwas Süssem ohne Zucker) namens «Diet Rite». 

Slavoj Žižek verbindet die Idee der Leere oft mit marktwirtschaftlichen Versprechen und unterzieht den Kapitalismus einer kritischen Analyse. Er argumentiert, dass er eine Art «Leere» im Menschen erzeugt und aufrechterhält. Diese Leere kann der Mangel eines Sinns sein oder die Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit. Marktwirtschaftliche Versprechen suggerieren, dass Glück und Erfüllung über den Konsum erreicht werden können. Die Ware selbst wird zum Träger eines Versprechens, das über ihren materiellen Nutzen hinausgeht. Bei Žižek, wie auch bei Stewart, kann zwischen einer symbolischen und einer realen Leere, dem Versprechen, dass die existenzielle Leere gefüllt wird und der realen Leere des tatsächlichen Erlebens der Leere unterschieden werden. 


DIE NULL UND DAS NICHTS
Zwischenräume sind aber auch das Gebiet, in dem sich die typografische Arbeit bewegt. Über die Platzierung der Zeichen auf der Fläche wird massgeblich die Effizienz und Reibungslosigkeit im Herstellen von Sinn, im Übergang vom Zeichen- zum Inhaltlesen gewährleistet. Dabei stellt sich die materielle Seite des Zeichens in den Dienst des zu repräsentierenden Sinngehalts. Selten geht es um die reine Präsenz des Zeichens oder sein Leben nach dem Dienst. 

Mobirise

Was genau Sinn und was hingegen das Eigenleben des Zeichens ist, steht nicht im Zentrum. Als Medium ist Schrift möglichst unsichtbar, obwohl sie sich selbst, mindestens als Teil der Botschaft bemerkbar macht. Die Mängel und unkalkulierbaren Nebeneffekte des Schreibens müssen wir mehr oder weniger blind in Kauf nehmen. 

Dass ein Inhalt auf unterschiedliche Weise transportiert werden kann, ist Typograf:innen mehr als bewusst und tägliches Brot. Darüber hinaus ist das Alphabet und seine Wörter ein Speicher mit begrenzter Kapazität. Nicht alles, was es gibt, existiert in Sprache oder Schrift und manch ein Wort könnte auch abgeschafft werden. 

Und dort, wo das System an seine Grenzen stösst, kann ein Bild einspringen oder das Schriftbild mithelfen. Aber auch dann muss man sich stets die Frage stellen, was wir im Tausch von Wirklichkeit in Zeichen verlieren und welche unbeabsichtigten Effekte mit den Zeichen ins Spiel kommen. 

Marcel Früh erzählt: Ich beschäftige mich seit 50 Jahren mit dem Buchstaben, den Silben, den Worten und Sätzen. Dabei war ich meist der Lesbarkeit und der visuellen Erscheinung in irgendeiner Form verpflichtet. Ich wollte oder musste dem immer verpflichtet sein. Dies kann ich bei dieser Arbeit nun vollkommen frei entscheiden, Buchstaben sind nur halb erkennbar, sind abgeschnitten, können nur noch geahnt werden. Silben, die die Lesbarkeit vereinfachen sind weg. Der Sinn des Textes muss wieder erkämpft werden. Das gefällt mir. Es hat im entfernten Sinn mit einem Code zu tun.

Ein Code, der sich wieder verschliesst, eine Geheimsprache wird und ahnen lässt, dass viel mehr gesagt werden kann als gesagt wird.

Katharina Dunst ist freie Autorin, Medien- und Kunstwissenschaftlerin.

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