THE BEAUTIFUL TOAST DREAM
Sherry Stewart, Tom Wolfe
Marcel Früh
Text von Katharina Dunst
DIE QUELLE
Tom Wolfe erzählt den Traum, der in Wahrheit keiner ist, grosszügig ausgeschmückt und leicht zynisch als Illustration dessen, was er in offen dargelegter Unzufriedenheit Kunst nannte, «die man nicht sehen kann». An den Tendenzen der 1960er und 1970er Jahre, der Konzeptkunst, der Pop Art und dem Abstrakten Expressionismus kritisierte er den Verlust der sinnlichen Ebene und die eingeschränkte Zugänglichkeit. Er beklagte ihr Theorie- und Textwerden und die zunehmende Abhängigkeit von Exegeten, die über Deutungshoheit und Bewertungsmacht von Kunst in alleiniger Herrschaft verfügten. Namentlich beschäftigten ihn die Kritiker Clement Greenberg, Harold Rosenberg und Leo Steinberg.
Was die Performance The Beautiful Toast Dream betrifft, existieren im «Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive» Dokumente, welche Texte zweier Arbeiten von Sherry Stewart, die Requisiten-Liste und die Korrespondenz zwischen dem Kurator und der Künstlerin beinhalten. Daraus ist abzuleiten, dass die Stewart ihrem Text durchaus eine materielle Dimension verliehen hatte. Auf der Rechnung zur Ausstellung sind unter ihrem Namen zur ersten ihrer zwei Performances der Ausstellung Palmwedel, Gaze und Stöcke erwähnt.
Nun könnte gemäss dieser Beschreibung exakt die Präsenz eines Kunstwerks und die direkte Interaktion mit dem Publikum für die Unabhängigkeit von Vermittlung durch ein kunstkritisches Urteil ins Feld geführt werden und Wolfes Ablehnung freundschaftliche Verstärkung finden. Wie schade, hatte er sich nicht eingehender mit seinem Gegenstand auseinandergesetzt.
DER EXKURS
Da Tom Wolfes Buch, in dem der sogenannte Traum von Sherry Stewart nacherzählt wurde «The Painted Words»** heisst, erlaubte ich mir, einem Bildgenerator die Bestandteile der Performance als Prompt zu übergeben. Worte werden innert Sekunden zu Bildern, ohne zu zögern stellt «künstliche Intelligenz» «Dokumentarbilder einer Performance aus dem Jahr 1969 in einem amerikanischen Kunstraum» her, wo eine Frau, ungefähr 24 Jahre alt, Palmwedel, Gaze und sieben gute Stöcke installiert hat.
Unter anderem wurden mir von deepAI folgende Bilder vorgeschlagen:
**(Transkription des Textes von Sherry Stewart: The Return of Abstract Expressionism : Richmond Art Centre, Sept. 25 – Nov. 2, 1969. Richmond, Calif.: Richmond Art Center, 1969)
I woke up on 4 A. M. and ran to the kitchen craving (for) a piece of toast. Ideally it would have been a crust of Wonder Bread, lightly browned, scraped with Nucoa by a serrated stainless steel knife so the margarine pools were peppered with brown bread crumbs, solid and floating; sugar sprinkled so that it absorbed the butter and became a yellow sort of granular mush pushed around with the serrated knife; cinnamon then sprinkled on top of the sugar, margarine mush and spread around once again to make it all an even tone and uniform flavor. I would have bitten off the corner, grains of sweet oily stuff scraping in the ridges of my teeth and remaining in the corner of my mouth. But there were no crusts so I turned off the light, opened the refrigerator, had a swig of Diet-Rite Cola, replaced the cap, put the bottle on the shelf, closed the door and stumbled back to bed.
A NEW ORDER
Es war während der Pandemie, als Marcel Früh begann, die einzelnen Lettern des von Wolfe wiedergegebenem Toast Dream auf «Bildträger» (ca. 30 cm / 40 cm gross) zu übertragen. In einer eigens entworfenen Grotesk-Schrift gesetzt, sollte die Form der Zeichen nichts Auffallendes sein, sondern sehr neutral; das typografische Handwerk sollte nicht in den Vordergrund treten. Buchstaben, nicht Stil sollten sichtbar werden: auf sich selbst verweisende Zeichen. Die Anzahl wird materiellen Fakten wie der Grösse der Platte angepasst.
Keine metaphysische Dimension wird heraufbeschworen auf diesen Tafeln, das einzig Unbestimmte, sind die neonfarben gespritzten wolkigen Töne, welche über dem harten Schwarz auf Weiss eine gewisse Atmosphäre schaffen. Das, was normalerweise zwischen den Begriffen entsteht, liegt jetzt obenauf. Farbe in einer Ebene, welche eine dritte Dimension eröffnet und vom Text nicht kontrolliert wird.
Für den Künstler selbst ergab sich mit dem Konzept, die 2331 Buchstaben des Wolfeschen Toast Dream (es wären nur 719 bei der Originalversion gewesen) von der gedruckten in die gemalte Form zu bringen, eine sichere und langfristige Arbeitsstruktur, die den Übergang in die freie Tätigkeit elegant überbrückt.
Auch Sherry Stewart hatte wohl den Abbruch und die Fortsetzung im Sinn, als sie sich zum Ziel setzte, ein Verlangen darzustellen, das sich ebenso wenig in Wirklichkeit übersetzen lässt, wie der gemalte Traum von Marcel Früh sich in Imagination transformiert; hier aus materialistischer dort aus idealistischer Perspektive.
DAS DING UND DIE LEERE
Stewart nahm mit der Nennung der Produktmarken «Nucoa» und «Wonderbread» im Text zur Performance auch das Versprechen und die suggestive Kraft der Werbung unter die Lupe, welche das Verlangen der Konsumenten bis in ihre Träume zu formen versucht und es vielleicht sogar selbst hervorbringt. In TV-Werbespots der 1960er Jahre erscheint für die «Nucoa» Margarine tatsächlich eine warme Scheibe Brot in Grossaufnahme, auf deren Oberfläche man die schmelzende Margarine beim Einsinken beobachten kann. Die Erzählung des sogenannten Traums, der ja eigentlich gar keiner ist (die Frau ist wach), endet im Wachzustand, sie findet das, was sie in die Küche getrieben hatte, nicht, füllt die Leere jedoch mit einem Ersatz (etwas Süssem ohne Zucker) namens «Diet Rite».
Slavoj Žižek verbindet die Idee der Leere oft mit marktwirtschaftlichen Versprechen und unterzieht den Kapitalismus einer kritischen Analyse. Er argumentiert, dass er eine Art «Leere» im Menschen erzeugt und aufrechterhält. Diese Leere kann der Mangel eines Sinns sein oder die Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit. Marktwirtschaftliche Versprechen suggerieren, dass Glück und Erfüllung über den Konsum erreicht werden können. Die Ware selbst wird zum Träger eines Versprechens, das über ihren materiellen Nutzen hinausgeht. Bei Žižek, wie auch bei Stewart, kann zwischen einer symbolischen und einer realen Leere, dem Versprechen, dass die existenzielle Leere gefüllt wird und der realen Leere des tatsächlichen Erlebens der Leere unterschieden werden.
DIE NULL UND DAS NICHTS
Zwischenräume sind aber auch das Gebiet, in dem sich die typografische Arbeit bewegt. Über die Platzierung der Zeichen auf der Fläche wird massgeblich die Effizienz und Reibungslosigkeit im Herstellen von Sinn, im Übergang vom Zeichen- zum Inhaltlesen gewährleistet. Dabei stellt sich die materielle Seite des Zeichens in den Dienst des zu repräsentierenden Sinngehalts. Selten geht es um die reine Präsenz des Zeichens oder sein Leben nach dem Dienst.
Was genau Sinn und was hingegen das Eigenleben des Zeichens ist, steht nicht im Zentrum. Als Medium ist Schrift möglichst unsichtbar, obwohl sie sich selbst, mindestens als Teil der Botschaft bemerkbar macht. Die Mängel und unkalkulierbaren Nebeneffekte des Schreibens müssen wir mehr oder weniger blind in Kauf nehmen.
Dass ein Inhalt auf unterschiedliche Weise transportiert werden kann, ist Typograf:innen mehr als bewusst und tägliches Brot. Darüber hinaus ist das Alphabet und seine Wörter ein Speicher mit begrenzter Kapazität. Nicht alles, was es gibt, existiert in Sprache oder Schrift und manch ein Wort könnte auch abgeschafft werden.
Und dort, wo das System an seine Grenzen stösst, kann ein Bild einspringen oder das Schriftbild mithelfen. Aber auch dann muss man sich stets die Frage stellen, was wir im Tausch von Wirklichkeit in Zeichen verlieren und welche unbeabsichtigten Effekte mit den Zeichen ins Spiel kommen.
Marcel Früh erzählt: Ich beschäftige mich seit 50 Jahren mit dem Buchstaben, den Silben, den Worten und Sätzen. Dabei war ich meist der Lesbarkeit und der visuellen Erscheinung in irgendeiner Form verpflichtet. Ich wollte oder musste dem immer verpflichtet sein. Dies kann ich bei dieser Arbeit nun vollkommen frei entscheiden, Buchstaben sind nur halb erkennbar, sind abgeschnitten, können nur noch geahnt werden. Silben, die die Lesbarkeit vereinfachen sind weg. Der Sinn des Textes muss wieder erkämpft werden. Das gefällt mir. Es hat im entfernten Sinn mit einem Code zu tun.
Ein Code, der sich wieder verschliesst, eine Geheimsprache wird und ahnen lässt, dass viel mehr gesagt werden kann als gesagt wird.
Katharina Dunst ist freie Autorin, Medien- und Kunstwissenschaftlerin.
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